Neuauflage der historischen Vergleichsfahrt Hamburg – Wien
Herkunft: Fahrrad & Moped Nr 2, 2000
Autor: GOLDENSTEIN ANGELIKA
Fotos: GOLDENSTEIN ANGELIKA
Was die Kreidler Freunde Norden vor etwa einem Jahr beim Stöbern in alten Motorrad-Heften fanden, las sich wie eine Abenteuergeschichte: “Klacks“ Leverkus berichtete in seinem mitreißenden Schreibstil darüber, wie 1969 Testfahrer zwei Kreidler RS (5,8 PS) in einem Rennen gegen die Bahn (D-Zug mit 2.170 PS) auf die Probe gestellt hatten.Die Frage war damals: „Wie lange macht wohl eine Fünfziger auf der Autobahn einer rücksichtslose Vollgasfahrt mitt und was kommt dabei an Durchschnitten und Erkenntissen heraus?“ Den damaligen Testern war wichtig – und das betont auch Leverkus mehrmals ausdrücklich – dass serienmäßige Maschinen getestet wurden, die in keiner Weise präpariert oder verändert waren. Alle, aber auch wirklich alle Details wurden originalgetreu belassen. „Die Maschinen waren von laufenden Fertigungsband genommen, kurz eingefahren und dann auf eigener Achse nach Hamburg gebracht worden“. Nur die Übersetzung hatte man verändert; das Ritzel am Getriebeausgang hatte einen Zahn mehr als bei der Serienausstattung. Die Strecken und die Zeiten waren in Klacksens Artikel so detailliert verzeichnet, dass diePhantasie der Oldtimerfreunde beflügelt wurde.
Kann heute – nach über dreißig Jahren – ein Kleinkraftrad gleichen Typs diese Tortur noch überstehen? Ist das Material auch nach dieser Zeit noch gut genug, ständig im Vollastberreich, also überdreht, gefahren zu werden? Die Kreidler Freunde Norden sind seit jeher vond der Leistungfähigkeit ihrer Mashinen überzeugt. Mit der Wiederholung der Vergleichsfahrt könnten sie der Öffentlichkeit den Beweis liefern, dass auch ein Oldtimer nicht nur etwas zum Hinstellen und Bewundern ist, sondern im Alltagsgebrauch härtesten Anforderungen standhält. Für diese Beweisführung ist der von Klacks beschriebene Test ideal, denn man beabsichtigste seinerzeit „keinen Fahrertest, sondern einen Mashinentest“. Natürlich wird der historische Vergleichstest auch hohe Anforderungen an das Team stellen. 1969 waren schließlichWerksfahrer dabei, die den Ablauf und die Rahmenbedingungen genau kannten. All das, was bei ihnen organisatorisch schon von vornherein feststand, müssten die heutigen Tester erst einmal abklären und auch trainieren. Hat die Gruppe Zweiradbegeisterter überhaupt die gleiche Chance zur Umsetzung dieses Tests wie die Spezialisten von 1969?
Das würde bei den Tankstopps und Fahrerwechseln anfangen und auch das Begleitteam und dessen Transport einschließen. Im Original-Vergleichstest wurden die kniffeligsten Punkte auch schon genannt: Fahrerwechsel und Tankstopp mussten unter einer Minute liegen. Schlechtes Wetter könnte die Werte beeinträchtigen.
Die Idee hat sich schließlich so sehr in den Köpfen festgesetzt und so viel Begeisterung hervorgerufen, dass man sich im August 1999 beim 50 cm³-Treffen in Norden einig ist: Wir versuchen die Neuauflage dieses Rennens! Bei der überlegung, wie das Vorhaben in Angriff genommen werden sollte, werden sich die Kreidler Freunde schnell einig, dass die Strecke Hamburg – Wien wie im Vorbild mit zwei Kleinkrafträdern und wechselnden Fahrern (hier je Maschine drei Fahrer) bawältigt werden soll. Für den Transport der zur Zeit nicht aktiven Fahrer muss ein Personentransporter als Vorausfahrzeug besorgt werden, mit dem die jeweils nächsten Fahrer zum folgenden Checkpoint gebracht werden. Um die Sicherheit der Zweiradfahrer zu gewährleisten, soll weitgehend verhindert werden, dass nachfoldende Verkehrsteilnehmer zwischen Zweirad und Begleitfahrzeug einscheren. Deshalb wird ein Fahrzeug mit Heckaufkleber „Achtung Kolonne. Nicht einscheren!“ den Kleinkrafträdern folgen. Außerdemm steht dieser Transporter für die Rückführung der Maschinen zur Verfügung. Bei näherer Betrachtung der Streckenabschnitte und der Randbedingungen entschieden die Kreidler Freunde, dass das Team mindestens aus zehn Personen bestehen soll: Sechs Zweiradfahrern (J. Lammers, S. Goldenstein, A. Budzinski, M. Weichenhan, S. Schröder, R. Coordes) und vier Fahrern für die Begleitfahrzeuge (A. Schwitters, V. Bent, P Neuschulz, L. Müller). Eine so hohe Zahl an Mtwirkenden vereinfacht auch den Gesamtablauf, denn jeder Fahrer kommt auf diese Weise während des Rennens auch zu Ruhephasen.
Checkpoint Seesen: Erster Tankstopp und Fahrerwechsel. Das Material für die beiden RS war bereits vorhanden, und im September 1999 wird die Restaurierung in Angriff genommen. Nachdem die beiden Kleinkrafträder optisch wieder auf Vordermann gebracht sind, beginnt die Motoenabstimmung. Es wird alles im Original-Zustand belassen. Wie beim Vorbild verändert man allerdings die Übersetzung: Auch hier wird am Getriebeausgang ein Ritzel verwendet, das einen Zahn mehr aufweist, Die Techniker überprüfen die Zündzeitpunkte und optimieren die Schaltungen. Nach TÜV-Abnahme und Anmeldung können die Testfahrten beginnen. Hierbei wechseln die Zweiradfaher so dass jeder sich vor dem Rennen schon einmal mit "seiner" Maschine vertraut machen kann. Außerdem stellen die Kreidler-Fahrer auf diese Art sicher, daß Auffälligkeiten schneller bemerkt werden. Um möglichst zuverlässige Daten zu erhalten, werden zusätzlich zu den maschineneigenen Tachos elektronische Entfernungsmesser angebracht.
Neben den rein zweiradbezogenen werden auch die ablaufbezogenen Vorbereitungen in Angriff genommen. Nach einigen Überlegungen scheinen sich als Betankungsvorrichtung große Trichter mit Kugelventil als sinnvollste Lösung anzubieten. Hiermit könnte wahrscheinlich der Tankvorgang durch Schwallbefüllung erheblich verkürzt werden. Beim Testen stellt sich heraus, dass dies die richtige Wahl war. Schon beim zweiten Versuch bleibt das Team mit Fahrerwechsel und Betanken unter einer Minute.
Für Filmaufnahmen und Fotos stand eine super Werkstatt zur Verfügung. Parallel dazu geht im Dezember 1999 die Pressearbeit in die heiße Phase. Durch eine erfolgreiche dpa-Meldung werden bundesweit Zeitungen, Radio- und Fernsehsender auf das Vorhaben der Kreidler Freunde Norden Aufmerksam. Auch der Pressesprecher der Deutschen Bahn zeigt Interesse. Was sind das für Leute? Was haben die eigentlich genau vor? Der Fahrp1an der Bahn soll Vorgabe sein. Interessant. In einem längeren Gespräch fordert der Pressesprecher die Kreidlerfreunde auf, nicht wie 1969 gegen den D-Zug mit einer Reisezeit von 14 Stunden 54 Minuten, sondern gegen den heute üblichen Euro-Nachtexpress, der das ziel in 12 Std. 15 Min. Erreicht, zu fahren. Dabei wird beim EN ein Triebwagen mit einer Leistung von 6400 kW und einer Höchstgeschwindigkeit von 220 km/h (in Österreich 160 km/h) eingesetzt. Dieser Triebwagen der Baureihe 101 stammt aus den Baujahren 1996-1999. Den Zweiradfahrern wird dafür zugestanden, statt mit 5.8 PS mit 6,25 PS-Motoren zu fahren, das entspricht 4,6 kW. Die angegebene Höchstgeschwindigkeit laut Werk ist hierbei 83 km/h. Alle anderen Ausstattungsdetails der Kleinkrafträder entsprechen dem Original und bleiben unverändert. Nach nur kurzem Überlegen gehen die Kreidler-Begeisterten auf diese neuen Bedingungen ein. Selbst wenn sie nicht vor der Bahn in Wien ankommen sollten, wollen sie die Rekordzeit des Originaltests unterbieten.
Anfang März 2000 besuchen Vertreter der Printmedien und des Fernsehsenders N3 das Rennteam zu Film- und Fotoaufnahmen. Bei den Vorbereitungen hierfür ziehen wieder alle Beteiligten an einem Strang. Es ist schön, zu sehen, wie die gemeinsame Sache angepackt wird. Obwohl viele etwas kamerascheu sind, schließt sich keiner aus.
Dann - drei Wochen vor dem historischen Vergleichstest, der für den 13. Mai geplant ist - eine Botschaft, die alles ins Wanken bringen könnte: Der Eigentümer einer der beiden Testmaschinen, die seit einem halben Jahr restauriert und erprobt worden sind, entschließt sich, seine Kreidler aus dem Rennen zu nehmen. Ist sie ihm zu schade dafür? Wie geht’s jetzt weiter? Sofort bietet der Kölner Kreidler-Freund Albert Deinert ohne Zögern seine teilrestaurierte RS als Ersatzmaschine an. Nun wird mit Hochdruck daran gearbeitet, das Kleinkraftrad für die TÜV-Abnahme vorzubereiten. Die Motoreinstellung wird optimiert. Leider ist es nicht meht möglich, anfällige Teile auszuwechseln, da die Beschaffungsziten zu lang sind. Pünktlich zum Start ist jedoch auch dieses Zweirad TÜV_Abgenommen und zugelassen.
HH-Stillhorn: "Großer Bahnhof" am Morgen vor dem Start. In der Mittagszeit am 13. Mai startet das Rennteam mit einem 9-Sitzer und dem Transporter in Richtun Hamburg-Stillhorn. Dort stehen die Kreidler-Freunde zwischen 17.00 Uhr und dem Start um 20.40 Uhr Zweiradfahrern, der Presse und anderen Interessierten für Gespräche zur Verfügung. Überwältigend ist für alle Beteiligten die große Resonanz. Henning Westphalen und seine Hamburger Kreidler-Freunde sorgen mit ihren Kreidler-Mokicks und Kleinkrafträdern für die passende Kulisse. Vereinsmitglieder und Bekannte aus dem Hamburger Umfeld, ganz Ostfriesland, Schlesweg-Holstein, aus dem Sauerland und Berlin sowie vielen anderen Teilen Deutschlands lassen es sich nicht nehmen, den Start mitzuerleben und den Testern ihre guten Wünsche mit auf den Weg zu geben. Die Fahrer sagen „Wir haben gar nicht genau mitbekommen, wer alles in Hamburg dabei war. Wir wissen nur, dass seht viele Leute dort waren und wir viele bekannte Gesichter gesehen haben.“
Nach einem letzten Technik-Check stehen die beiden ersten Fahrer J. Lammers und S.Goldstein in den Startlöchern. Pünktlich um 20.40 gibt der Kleine Tierfreund (Dietmar Wischmeyer vom Frühstyxradio) den Startschuss ab. Und ab geht die wilde Jagd. Viele Zweiradfahrer, Auto fahrende Zweiradfans und auch ein paar Polizisten im Streifenwagen begleiten das Rennteam noch lange auf der Autobahn. Der Kreidler-Freund Wolfgang Rönnau hat eine eigens für diesen Tag angefertigte Kreidler-Fahne zum Gruß and seinem Cabriolet befestigt. Die Fahrer werden von den Autobahnbrücken herab angefeuert. Das Rennen hat begonnen.
Betankung im Schnellverfahren: Nach weniger als einer Minute ist der Sprit drin. Wenige Minuten später verlässt der Euro-Nachtexpress mit etwas Verspätung den Hamburger Hauptbahnhof. Fünf Personen wollen das Rennen aus dieser Perspektive erfolgen. Die Spannung ist auch hier sehr groß, aber um den Ablauf bei den Aktiven nicht zu stören, entschließen sich die Bahnreisenden, den Kontakt nicht selbst herzustellen, sondern auf Neuigkeiten per Handy zu warten.
Auf der Autobahn sind Joachim und Stefan in guter Stimmung. Die Begeisterung der Fans hat sie noch einmal so richtig für die Fahrt aufgeheizt. Gleich von Beginn an suchen sie eine möglichst winschnittige Haltung auf den Florett. Flach, ganz flach machen sie sich, um bestmögliche Zeiten zu fahren, aber Stefans Maschine läuft immer einen Tick besser. Schon nach 180 Kilometern gibt es dann die erste unangenehme Überraschung mit der erst vor kurzem fertiggestellten Ersatzmaschine. Joachim Lammers, der sein Gefährt immer aufmerksam beobachtet, hört ein leichtes metallisches Vibrieren, hat den Auspuff in Verdacht und hält. Richtig: Die Halteschraube des Auspuffendstückes seiner RS war nicht hundertprozentig festgezogen. Die Mutter hat sich gelöst und ist verlorengegangen. Schnell ist eine passende Ersatzmutter zur Hand, und weiter geht’s. Langsam wird es etwas kühler. Der erste Halt am Checkpoint Seesen ist nach 208 gefahrenen Kilometern für 23.14 Uhr vorgesehen. Siebzehn Minuten vorher erreichen die beiden den ersten Haltepunkt. Sie haben einen Etappendurchschnitt von 91,09 km/h erreicht. Der erste Tankstopp und Fahrerwechsel erfolgt ohne Verzögerung. Auch an dieser Autobahnraststätte begleiten viele Zuschauer das Rennen. Mancher hat dafür andere Termine abgesagt. So wie ein Enthusiast, der den Organisatoren hinterher erzählte: „Ich habe mich für Euch sogar vorzeitig von einer wichtigen Familienfeier verabschiedet.“ Den nächsten Abschnitt bis zur Rhön-Tankstell bestreiten der erfahrene Rennfahrer Martin Weichenhan und der Florett-Jockey André Budzinski. Das Team hatte diese beiden Fahrer ausgewählt, um in den Kasseler Bergen die optimalen Bedingungen zu haben. Eine Zeit lang lief alles glatt. Dann bei Kilometer 308 wieder Probleme mit der RS, die vorher beinahe das Auspuffendstück verloren hatte. André bemerkt ein typisches klapperndes Geräusch im Getriebebereich und weiß gleich: Jetzt geht nichts mehr. Er lässt die Florett ausrollen. Wie sich später herausstellte, war ein Kurbelwellendefekt der Grund. Das untere Pleuellager war ausgeglüht und nicht mehr vorhanden. Zylinder und Kolben haben diese Tortur jedoch heile überstanden. Sofort hat Lothar Müller die mitgeführte Beleuchtung zur Hand, und in Windeseile wird der Motor gegen den mitgeführten Austauschmotor gewechselt. Weniger als zehn Minuten benötigt das eingespielte Technikerteam für diese Aktion. Spannung: läuft die Kreidler ohne genaue Einstellung auf Anhieb? Nein, sie springt nicht an. Der Zug befindet sich zu diesem Zeitpunkt kurz hinter Göttingen. Die Bahnreisenden wissen nur, dass es eine Motorpanne gegeben hat. Sie rätseln, ob das Team die Maschine wieder flott bekommt, oder mit nur einer Florett wieder ins Rennen geht.
Kurz vor'm Start: Martin Weichenhancheckt noch einmal die Kreidler. Auf der Autobahn wird jetzt eine schnelle und, wie sich später herausstellt, richtige Entscheidung getroffen. Die Kreidler Freunde stecken keine wertvolle Zeit in weitere Wiederbelebungsversuche, sondern fahren jetzt volles Risiko. Die verbleibende Maschine muss das Rennen allein gewinnen. Um die verlorenen 17 Minuten so gut wie möglich wettzumachen, werden ab jetzt nur noch die leichtesten und erfahrensten Fahrer eingesetzt. André wechselt auf die noch fahrbereite Florett und weiter geht die Jagd. Die Raststätte Rhön ist um 1.56 Uhr das nächste Etappenziel (Soll-Zeit 1.48 Uhr); André Budzinski hat schon neun Minuten aufgeholt: „Manachtet weder auf die Gegend noch auf die Bahn. Wichtigster Orientierungspunkt ist in der Zeit das Rücklicht des vorausfahrenden Fahrzeugs.“ Bedingt durch die Panne wurde auf dieser Strecke nur eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 71,06 km/h erreicht. Das Betanken funktioniert auch dieses Mal reibungslos, denn Sven Schröder, Oliver Garrelts und Alfred Schwitters arbeiten Hand in Hand. (Der Zug hat im Bereich Würzburg noch etwa 15 Minuten Verspätung). Für die nächste Etappe gehört der orange Blitz Martin Weichenhan. Als routinierter Rennfahrer legt er die Strecke bis zur Autobahnraststätte Jura in 132 Minuten zurück und erreicht das Etappenziel um 4.06 Uhr. Man liegt wieder 16 Minuten vor dem Zeitplan. Jetzt sind 617 km gefahren. Der Etappendurchschnitt liegt bei 90,92 km/h. Auch hier warten schon Fans auf das Rennteam. Vereinskollege Hans-Günther Hoffmann aus Waldmössingen und seine 50 cm³-Freunde Bernd Weber (Peterzell) genießen mitten in der Nacht den Zweitaktduft und die Erinnerung an alte Zeiten. Die Bahn hätte inzwischen Regensburg erreichen sollen, fährt dort aber erst um 4.16 Uhr mit ca. 15 Min. Verspätung ein. André Budzinski hat nun den wohl kältesten Teil dieser Nacht vor sich. Von der schönen Mondnacht sieht er nicht viel. Die Entfernung bis Linz legt er fröstelnd aber konzentriert mit einem Durchschnittstempo von 93,90 km/h zurück und erreicht den Checkpoint Linz um 7.04 Uhr. Trotz der hohen Durchschnittsgeschwindigkeit liegen die Kreidler Freunde hier gegenüber ihrem Zeitplan um 14 Minuten zurück. André erinnert sich: „Ich hatte nicht nur mit der Kälte, sondern auch mit den stetigen Steigungen zu kämpfen.“ Hier in Linz bereitet das befreundete Ehepaar Stern den 50cm³-Fahrern einen herzlichen Empfang. Die zweiradbegeisterten Österreicher haben die Planung in Wien übergenommen und begleiten die Kreidlerfahrer in den nächsten Tagen. Nach einer kurzen Absprache zwischen Sven Schröder und R. Coordes kommt mit dem letzten Fahrerwechsel Rainer Coordes ins Rennen. Seine Weising lautet: „Gib alles!“ und daran hält er sich. Den Gasgriff ständig am Anschlag, erzielt er den högsten Etappendurchschnitt mit sage und schreibe 95,05 km/h. Nach 1055 km passiert die Kreidler Florett RS um 8.45 Uhr das Ortseingangsschild Wien, den Zielpunkt der Vergleichsfahrt.
Die Kreidler Freunde fahren direkt zum Wiener Westbahnhof. Ohne lange zu fragen, wird die Florett die Treppen zum Bahnsteig hinaufgetragen, damit sie den eben eintreffenden Euro-Nachtzug begrüßen kann. Das hat sie sich redlich verdient. Und dann wird nur noch gefeiert…
Sie haben's geschafft: Die Kreidler-Crew ist vor dem Zug in Wien angekommen! AuswertungEine Inspektion der beiden Kleinkrafträder sowie die Auswertung der Streckennotizen ergab, dass die Kreidler auf der Gesamtstrecke nur 3,05 ltr./100 km verbraucht hat. Das Kerzenbild ist völlig normal und ein Verschleiß nicht festzustellen. Der Motor klingt nach wie vor „gesund“. Die kurzzeitig erzielte Höchstgeschwindigkeit betrug 111,5 km/h, der Gesamtdurchschnitt lag bei 88,40 km/h. Auf den eizelnen Etappen wurden folgende Durchschnittsgeschwindigkeiten
erreicht:
HH-Stillhorn bis Seesen: 91,09 km/h
Seesen bis Rhön: 71,06 km/h (Reparaturversuch inbegriffen)
Rhön bis Jura: 90,92 km/h
Jura bis Linr: 93,30 km/h
Linz bis Wien: 95,05 km/h .
Die für den Vergleichstest aufgezogenen Continental-Reifen sind nur wenig abgenutzt. Zwei Nachbau-Speichen hat's allerdings zerlegt.
Alle Daten zur Fahrt haben die Kreidler Freunde Norden auf ihrer Internetseite KREIDLER-VEREIN.de für Interessierte noch einmal zusammengestellt. Anfragen beantworten die 50cm³-Freunde auf der Internetseite www.kreidlerfreunde.de, unter Tel. 04931/167124 oder unter der Adresse Kreidler Freunde Norden e.V., Postfach 205, 26492 Norden.Seit 40 Jahrenim Sattel: Mit seiner XS 250 hat Bodo Stuke (56)
in 18 Jahren 568.000 km zurückgelegt. Die Intercity-Zugtafeln
gab's von der Wagenmeisterei Mittenwald als Anerkennung fü die
siegriche Fahrt gegen den IC "Karwendel". Mit 17 PS zum MondKinder, wie die Zeit vergeht! Kaum sind die Motoren nach dem 1969er Kreidler-Marathon abgekühlt, erlebt der Klassiker nach 30 Jahren eine Neuauflage. Richtig mitgefiebert hat dabei Bodo Stuke aus Löhne, der in den 60er Jahren mit einer 2,6 PS-Kreidler durch Europa tourte. Die erste Fernfahrt (1964) ging über 1065 km nach Wien, gefolgt von einem Ausflug nach Rom 1966. Eine geplante Reise nach Ägypten musste wegen des Sechs-Tage-Krieges 1967 gestrichen werden; dafür überquerte er mit der Kreidler die Alpen und tummelte sich an den Teutonengrills der Adria.
1968 dann Aufbruch zur Skandinavien-Rundfahrt: immer nordwärts – zum Polarkreid und weiter nach Hammerfest, der nördlichsten Stadt Europas – 6500 Kilometer in 14 Tagen. Zwischen 1971 und 1978 brachte er von Tourist-Rallyes (Zielfahrten) – Kreidler-Fahrt Dubrovnik 1971, Austria-Rundfahrt 1972 u.a. – zahlreiche Pokale mit nach Hause und belegte 1973 bei der Jahresrallye des MSC Köln mit der Kreidler einen respektablen 3. Platz – gegen eine ganze Armada von 75/5-BMWs. Am 23.7.1974 erwischte es ihn dann: schwerer Unfall, 18 Wochen Krankenhaus, die Kreidler bei Kilometerstand 170.400 schrottreif. Nach der Genesung machte er 1976 den Einser Führerschein und wechselte kurze Zeit später von der Yamaha RS 100 auf eine blau lackierte RD 200 über. Genau das Richtige, um gegen den TEE „Blauer Enzian“ anzutreten: von Altona nach München in 8 h 25 min – schneller als der D-Zug, der erst ein paar Minuten später fahrplanmäßig im Münchener Hauptbahnhof einlief. Über Funk ist Bodo Stuke auch unterwegs immer erreichbar. Sein amtliches Funkrufzeichen „TEE Helvetia“ bekam er 1978 nach seiner erfolgreichen Wetfahrt mit dem gleichnamigen Schnellzug zugeteilt. Bei diesem heißen Ritt über 930 Kilometer, den Bodo in 8 h 40 min abspulte, begnügte sich seine 17 PS-Maschine mit 4,4 l / 100 km. Der 1400 PS-Dieselmotor des TEE-Triebkopfs dürfte wohl ein paar Liter mehr konsumiert haben. Im Jahr zuvor hatte er den Warschau-Paris-Express herausgefordert und ihm – nach genau 751 Kilometern Autobahn von Herford aus – in der Seine-Metropole volle 7 Minuten abgenommen.
Im Januar 1982 meldete Bodo Stuke seine jetzige Maschine an, eine Yamaha XS 250, und bekam vom Straßenverkehrsamt das amtliche Kennzeichen HF – D 293 zugeteilt, „zufällig“ das Kennzeichen des legendären Orien-Express. Die innige Beziehung zum Schienenverkehr wurde ihm offenbar in die Wiege gelegt: Vater Friedrich war früher auf der Stecke Osnabrück-Lingen als Heizer mit einer 44er Dampflok unterwegs.
Mit der XS 250 wurde ein Traum aus alten Kreidler-Tagen verwirklicht: die Entfernung Erde – Mond (384.000 km) zurückzulegen. Dieses Etappenziel war am 14. Juli 1993 erreicht. Bei der Wettfahrt gegen den IC „Karwendel“, den er 1994 von Altona nach München um ganze 3 Minuten schlug, befanden sich Mann und Maschine – bildlich gesprochen – schon auf dem Weg ins Innere des Erdtrabanten.
Wen wundert’s, dass nach so vielen „Erdumrundungen“ irgendwann ein Tausch-Motor quittierte bei 428.000 km den Dienst, und das aktuelle Aggregat ist mit 140.000 Kilometern gerade mal richtig eingefahren. Wir hoffen mit Bodo, dass seine XS noch ewig hält!